vom 26. Januar 2020
Echo online 24.01.2020
Altbürgermeister Hasenzahls Stellung im Nationalsozialismus veranlasst Planungsausschuss zum Veto gegen Michelstädter Magistratsbeschluss. Von Manfred Giebenhain
Das Schild der Erwin-Hasenzahl-Straße steht zwar schon, doch Bestand wird es womöglich nicht haben. Der Planungsausschuss jedenfalls ruft das Stadtparlament auf, den Magistratsbeschluss zu kassieren, weil Haltung und Verhalten des namensgebenden Altbürgermeisters im Nationalsozialismus fragwürdig erscheinen. Archivfotos: Joaquim Ferreira/Ernst Schmerker
MICHELSTADT - Wer war Erwin Hasenzahl? Man muss nicht der älteren Generation angehören, um diese Fragen beantworten zu können. 25 Jahre lang, von 1954 bis 1979, lenkte der gebürtige Erbacher (1914-2008) als Bürgermeister die Geschicke von Michelstadt, dies in einer Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg und der Modernisierung der Stadt. Für seine Verdienste wurde er bei seiner Verabschiedung am 26. Juli 1979 zum Ehrenbürger ernannt. Jetzt haben Verwaltung und Magistrat Vorstellungen entwickelt, nach der Sport- und Vereinshalle am Bienenmarktgelände auch eine Straße nach Hasenzahl zu benennen – und die Schilder dafür schon einmal aufstellen lassen. Das war wohl etwas voreilig, denn im Planungsausschuss des Stadtparlaments artikulierten sich gegen die Idee schwere Bedenken: Werde sie verwirklicht, könnte der Stadt mehr Schaden entstehen als vorstellbar, entschied das Gremium und forderte Parlament und Verwaltung dazu auf, von der vorgesehenen Namensgebung abzusehen. Leiten ließen sich die Abgeordneten dabei von Erkenntnissen über Haltung und Verhalten Hasenzahls im Nationalsozialismus. Ihr Veto will Bürgermeister Stephan Kelbert nun zum Anlass nehmen, eine Neubefassung des Magistrats mit dem Thema zu erreichen und dafür auch Rat und Beratung externer Kapazitäten einzuholen. „Wenn wir so zu grundsätzlichen Kriterien gelangen, hat das Ganze etwas Gutes“, sagte Kelbert dem ECHO.
MICHELSTADTS BÜRGERMEISTER UND IHRE STRASSEN Erwin Hasenzahl (1914-2008) wäre in der jüngeren Geschichte der fünfte Bürgermeister in Folge, den Michelstadt mit der Benennung einer Straße würdigen würde. In der Kernstadt tragen bisher vier Straßen den Namen von Personen, die Bürgermeister waren. Gewürdigt werden so bisher die Sozialdemokraten Heinrich Ritzel (1893-1971), der 1919 im Alter von 26 Jahren Stadtoberhaupt wurde und dies bis 1930 blieb, Adam Wöber, der von 1946 bis 1954 an der Spitze der Stadt stand, und Karl Neff (1882-1958), der von 1930 bis zur Absetzung 1933 durch die Nationalsozialisten das Amt innehatte. Der Name Landrat-Neff-Straße wird dabei seiner späteren und noch wichtigeren Funktion als erster Nachkriegs-Landrat des Kreises Erbach gerecht. Schließlich ist die Dr.-Anton-Leber-Straße dem Bürgermeister gewidmet, der von 1933 bis 1945 für die NSDAP der Stadt vorstand, allerdings zugleich für ein Umdenken gegen Kriegsende und die freiwillige Übergabe Michelstadts an die Amerikaner steht. (mgi)
Für das, was sich ohne dies feststellen lässt, interessierten sich auch ein halbes Dutzend Zuhörer. Unter ihnen befand sich Heinz-Otto Haag, bekannt insbesondere durch seine Forschungsarbeiten über das Schicksal der von den Nazis verschleppten und ermordeten Bürger von Michelstadt. Als am Ende der lang anhaltenden und kontrovers geführten Diskussion Haag vom Ausschussvorsitzenden Andreas Kräuter um eine Stellungnahme gebeten wurde, drückte dies der Sitzung den Stempel auf. Die darauffolgende Abstimmung erbrachte ein deutliches Bild: Bei fünf Nein-Stimmen und einer Enthaltung widersetzte der Ausschuss sich der Empfehlung des Magistrats, der sich bereits Ende November 2019 für die Straßenbenennung ausgesprochen hatte. KOMMENTARE
Kommentar zur Straßensache Hasenzahl: Ungewollte Großtat Haags Ausführungen zufolge weist die Spruchkammerakte der Alliierten Hasenzahl als SS-Stabsscharführer (entspricht etwa einem Kompaniefeldwebel) aus. Dementsprechend war der Odenwälder auch anfangs in die Gruppe 1 (Hauptschuldige) eingestuft worden, was zwei Jahre Untersuchungshaft in Darmstadt zufolge hatte. Erst im Berufungsverfahren und aufgrund eines Gnadengesuchs sei er im Dezember 1949 aus gesundheitlichen Gründen in die Gruppe 4 herabgestuft und auf Bewährung aus der Haft entlassen worden, berichtete Haag weiter und stellte damit ein anderes Bild von Hasenzahl neben dessen populäres Profil als Architekt des Nachkriegsaufstiegs seiner Stadt. Die Altstadtsanierung gilt ebenso sehr als sein Werk wie der Weihnachtsmarkt oder der Bienenmarkt. Seine Handschrift tragen zudem die Städtepartnerschaften mit Rumilly und Hulst mit der Völkerversöhnung als Leitgedanke. Auf der politischen Bühne war Hasenzahl unter anderem Mitbegründer der Überparteilichen Wählergemeinschaft (ÜWG) im damaligen Kreis Erbach. An diesen Verdiensten wollte in der Sitzung niemand zweifeln. Deren Wert machte Bürgermeister Stephan Kelbert geltend, um die Motivation des Magistrats auch mit der Überzeugung zu erklären, dass Hasenzahl „als Bürgermeister mit einer gewissen Amtszeit“ eine Straßenbenennung verdiene. Tim Koch (Grüne) setzte dieser Meinung die aus seiner Sicht nicht mit einer Ehrung per Straßenname zu vereinbarende andere Seite des gelernten Kaufmanns entgegen: 1933 Beitritt zur NSDAP, der er bis zum Ende der Nazizeit angehörte, und Mitgliedschaft in der Schutzstaffel (SS), „der schlimmsten Mörderbande in der Geschichte der Menschheit“, so Tim Koch. Als Regionalforscher Haag dem die Preisgabe seiner Erkenntnisse hinzufügte, erreichte die Betroffenheit unter den Abgeordneten fast greifbare Stärke. Nun gelte es, Schaden von der Stadt abzuwenden, stimmten mehrere Abgeordnete überein. Eine Beibehaltung des Straßennamens unter diesen Umständen könnte Michelstadt bundesweit in ein äußerst negatives Licht mit entsprechenden Schlagzeilen versetzen und einen Shitstorm hervorrufen, warnte etwa Alexander Hahn (ÜWG).
Für ein gewaltfreies und respektvolles Miteinander.