vom 13. Juli 2019
„Odenwald gegen Rechts – bunt statt braun“ nimmt Stellung zum Mord an Walter Lübcke
Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten hat große Bestürzung ausgelöst. Nachdem Stephan Ernst, ein seit über 20 Jahren aktiver Neonazi, den Mord gestanden hat, wird seitens der Politik erneut betont, dass nunmehr die rechte Szene besonders in den Fokus genommen wird.
Das begrüßen wir ausdrücklich, aber gleichzeitig wird offensichtlich wie sehr in den letzten Jahrzehnten zumindest weite Teile der Sicherheitsbehörden und besonders des Verfassungsschutzes auf dem “rechten Auge blind” waren. Daran haben die zehn NSU-Morde und die hierzu eingerichteten Untersuchungsausschüsse nichts geändert. Zuerst wurden die Angehörigen verdächtigt und kriminalisiert. Selbst als die Verbrecher enttarnt waren, wurde zu lange an der Einzeltätertheorie festgehalten. Die Netzwerke und Unterstützer blieben unbeachtet.
Offizielle Zahlen von Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 werden mit kaum mehr als 50 beziffert, die tatsächliche Zahl liegt bei fast 200. Geschieht ein Verbrechen, wird meist der politische Zusammenhang negiert. Wie kann es sein, dass fast 500 Haftbefehle gegen rechte Gewalttäter nicht vollstreckt werden? Wie kann es sein, dass die Behörden nicht zusammenarbeiten, Akten geschreddert werden? Was ist mit den Akten des Mörders des Regierungspräsidenten Walter Lübcke? Angeblich sind sie nicht vernichtet, dürfen aber nicht verwendet werden.
Nun da ein Vertreter des Staates Opfer geworden ist, geben Behörden und Politik zu, dass das rechte Spektrum von AfD und extremer Rechter deutlicher in das Zentrum der Ermittlungsarbeit gerückt werden muss. Wenn die Empörung gegen Rechtsextreme, die wir bisher oft vermisst haben, ernst gemeint ist, dann muss gehandelt werden. Dazu gehört eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD, denn sie hat deutlich dazu beigetragen, rechtes Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Das Schlimme daran ist: viele Forderungen der AfD wurden aus opportunistischen Gründen (Stimmenfang) aufgegriffen, wie sich u.a. an der Verschärfung des Asylrechts und an der Sicherheitsdebatte zeigen lässt.
Wenn heute Politiker als Kämpfer gegen Rechts auftreten, sind das leere Worte, solange nicht Sperrvermerke vom Tisch sind, Akten zugänglich sind, die Rolle des Verfassungsschutzes geklärt wird, konsequent jede Vernetzung und Unterstützung aufgedeckt wird, auch in der Polizei, in der Bundeswehr, in der Verwaltung, kurz: in allen Bereichen. Gerade wurde bekannt, dass die Sperrfrist der NSU-Akten von 120 auf 30 Jahre „verkürzt“ wird. Der berechtigte Anspruch auf eine schonungslose und umfassende Aufklärung der Verbrechen soll damit verhindert werden.
Wir fordern mit aller Deutlichkeit die Hessische Landesregierung auf, die NSU-Akten und alle anderen Akten, die zur umfassenden Aufklärung der Morde beitragen, offenzulegen. Anders kann eine Auseinandersetzung mit rechtem Terror in Deutschland nicht stattfinden.
Für ein gewaltfreies und respektvolles Miteinander.